Predigt im Politischen Gottesdienst am 6.Mai 2018
Von Simone Venghaus
„Was macht man denn so als Christ ?“ Gibt es da klare Anweisungen ? Gibt es den Christen ? Den richtigen ? Und erkennt man ein Land, in dem das Christentum vorrangig ist, an irgendetwas – außer vielleicht an Sonntagen, und Festen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten ?
Ich denke, so, wie sie viele verschiedene Antworten hatten – und wahrscheinlich würden Ihnen bei längerem Nachdenken noch mehr einfallen – dass es die eine Antwort nicht gibt, und den Christen auch nicht. Wer sollte das auch beurteilen ? Wer könnte darüber richten ? Heute – viele Jahrhunderte nach der Inquisition.
Natürlich kamen wir bei der Vorbereitung auf die Bibel. Sie kann uns sagen, was man als Christ machen soll. Maßgeblich ist da zum Beispiel die Bergpredigt. Sie gibt seit Jahrhunderten Anlass für Diskussionen über das ethische Verhalten.
Sie beginnt mit den Seligpreisungen. Wie eine Überschrift leiten sie die Bergpredigt ein und geben eine Richtung vor.
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig – was bedeutet das ? Selig – das erinnert vielleicht an die eigene Kindheit, im Garten, im Urlaub, mit den Eltern und Geschwistern vereint, selig. Oder in den Armen eines geliebten Menschen, bei der Geburt des eigenen Kindes, wenn alle da sind, die einem wichtig sind, oder wenn eine drohende Krankheit oder Unglücksbotschaft sich als Fehlalarm erwiesen hat.
Selig, ein Zustand der tiefen Zufriedenheit, des Glücks, der Freude. Alles ist so, wie es sein soll. Besser geht es nicht. Es ist vollkommen.
Es kommt selten vor, aber es kommt vor und man erinnert es. In den Seligpreisungen ist es aber nicht nur ein vollkommener Zustand. Es kommt noch ein wichtiger Aspekt dazu: Gott.
Gott ist einem nahe, wenn man selig ist. Er steht einem zur Seite. Man hat Teil am Reich Gottes. Es ist da. Er ist da.
Eine überirdische Dimension. Himmlisch irgendwie. Überirdisch, - aber doch irdisch.
Seligkeit erlangt man nicht erst im Jenseits – wie es früher oftmals interpretiert wurde. Die Armen, Traurigen, Notleidenden, die hier angesprochen sind, sie werden ihren Trost nicht erst nach dem Tod bekommen. Sie müssen nicht tapfer ihre Situation aushalten und dann auf Glückseligkeit hoffen. Genau diese Interpretation hat Karl Marx zu recht angegriffen, denn sie diente dazu, Ausbeutung und Ungerechtigkeit aufrecht zu erhalten und die Notleidenden mit dem Lohn im Jenseits zu vertrösten. Die Seligpreisungen sind keine „Blumen an der Kette“, wie er sagte, die die Ungerechtigkeit überdecken und helfen sollen, das Leid und Elend auszuhalten. Die Ketten, die einengen, müssen sichtbar werden. Und Gott sieht sie auch, genau da schaut er hin.
Und da zeigt sich schon eine Antwort auf die Frage, wer denn diese Seligkeit erlebt und bekommt ?
Nämlich irgendwie nicht die, die es richtig machen . Die „richtigen“ Christen. Das Land, in dem das Christentum „richtig“ und vollständig gelebt wird.
Selig werden die, die von Gott gesehen werden.
Zum Beispiel die, die Leid tragen, die Sanftmütigen, die Friedfertigen, die Barmherzigen....
Also Menschen in einer bestimmten, schwierigen Situation.
Die, die Leid tragen, – das waren zu Jesu Zeit die Witwen und Waisen, die fast keine Unterstützung von der Gesellschaft empfingen und nur mühsam überlebten. Heute ? Heute sind das zum Beispiel Menschen, die trauern, die sich einsam und verlassen fühlen, resignieren und alle Hoffnung aufgegeben haben. Menschen, die schuldig geworden sind und unter dieser Last zu zerbrechen drohen.
Aber ganz besonders sind es alle Menschen, die ganz direkt unter Armut und Ungerechtigkeit leiden, die nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überleben, die versklavt und ausgebeutet werden, die auf der Flucht sind, die nichts haben und verzweifelt um ihre Würde und ihr Leben kämpfen – wenn sie es noch können.
Genauso die Sanftmütigen. Wir denken an eine innere Haltung, an sanftes defensives Verhalten. Aber zu Jesu Zeiten bezeichnete das griechische Wort „praies“ eher nicht eine sanftmütige Einstellung als vielmehr ein von außen aufgezwungenes Schicksal. Es kann auch für bettelarm, geknechtet oder auch stillgemacht, ausgenutzt stehen. Also für die Millionen von Sklavenarbeitern von heute, die in den Haushalten der Reichen arbeiten, in gigantischen Bauprojekten und in den Bordellen der Welt.
Dazu kommen die, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, die unter ungerechten Zuständen leiden, die etwas ändern wollen an den Verhältnissen, die wollen, dass jeder so viel zum Leben hat, wie er braucht.
Spannend finde ich auch die erste Seligpreisung: „Selig sind die geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich.“
Wer ist das denn ? Wer ist geistlich arm ? Das Gegenteil wäre ja geistlich reich – und wer würde das von sich behaupten ? Geistlich reich zu sein... Da sind wir heute doch sehr vorsichtig.
Geistlich arm sind die, die Gott nicht spüren oder finden. Die ihn suchen, ihm nahe sein möchten, aber keinen Weg, keinen Zugang zu ihm finden. Auch die, die mit Gott nichts anfangen können – oder wollen. Geistlich arm sind die, die an der Gottesferne leiden, die leben müssen, als gäbe es keinen Gott.
Denn ihrer ist das Himmelreich – ob sie es nun merken oder nicht...Aber sie hat Gott im Blick.
Und damit wird sehr deutlich, was die Bergpredigt und die Seligpreisungen sind: ein Antitext: sie stellen Gewohntes auf den Kopf. Sie rücken die Menschen ins Blickfeld, die dort normalerweise nicht stehen. Nicht die Tonangebenden, Lauten, Erfolgreichen, nicht die an Geld und Gut, aber auch an Ansehen und Wortgewandtheit Reichen.
Selig wird man aber auch nicht, weil man etwas ist, arm, traurig, verfolgt, verzweifelt. Selig wird man, weil Gott sich auf seine Seite stellt. An seine Seite.
Diese Seligkeit, von der Jesus spricht, kommt weder aus dem Menschen noch aus seiner Einstellung und seinem Schicksal. Sie kommt aus Gottes Nähe, aus seiner Zuwendung.
Oder anders gesagt: reformatorischer: Menschen sind nicht und niemals gut oder gar selig, weil sie dies oder das tun oder nicht tun, weil sie etwas leisten oder erleiden. Entscheidend ist, was Gott tut, wie er urteilt und mit welchen Augen er auf unser Leben schaut.
Nicht zufällig sind die Seligpreisungen der vorgesehene Evangeliumstext für den Reformationstag. Gott schenkt uns seine Gnade, wir müssen sie nicht erlangen.
Kein Wunder also auch, dass die Frage, „was denn ein Christ so mache“, den Partybesucher ganz schön in die Bredouille bringt. Er meint, etwas Konkretes vorweisen zu müssen, Taten, Aktionen, irgendwas Greifbares. Aber die Seligpreisungen zeigen uns, dass es gar nicht ums „Machen“ geht. Vielmehr geht es um die Einstellung, um eine bestimmte Sichtweise, auf sich, auf die Mitmenschen, auf die Welt. Es geht um den Blickwinkel Gottes, den sollen wir übernehmen.
So, wie es der Journalist Matthias Zehnder gesagt hat: „Wenn wir die christlichen Werte inhaltlich ernst nehmen und nicht einfach wie eine Monstranz vor uns hertragen, dann müsste das Resultat eine Politik der Demut, der Sanftmut und der Barmherzigkeit sein.“ Und so, wie es viele von Ihnen eben aufgeschrieben haben: „tolerant sein“, „anderen freundlich und mit Respekt begegnen“, „jeden Menschen so sehen, wie Gott ihn gedacht hat“, für anderen Menschen da sein“ usw....
Als Christ kann man einen andern Blickwinkel einnehmen, kann man den Blick auf andere werfen, von sich weg. Man muss sich nicht um sich selbst drehen, weder, um sich und seine Position und Errungenschaften hervorzuheben, noch um sich als Opfer darzustellen.
Wenn man wirklich ein Opfer ist, hat Gott einen im Blick – und dann ist man kein Opfer mehr, sondern frei und gestärkt, um für sich – und für andere zu sorgen.
Und wenn man kein Opfer ist, ist man sowieso frei und gestärkt – jedenfalls als Christ.
Als Christ muss man sich nicht abschotten und sein Eigenes betonen, seine Kultur, seine Traditionen, seine Religion. Da muss man keine Zeichen aufhängen, um der Welt zu zeigen, was hier gilt. Da muss man keine Angst haben, dass einem was weggenommen wird. Da ist man frei. Wo das Christentum gilt, geht es nicht ums „behalten“, ums „machen“ und schon gar nicht um Macht.
Wo das Christentum gilt, muss nichts bewiesen werden, sondern da sollte zu spüren sein, was „Christentum“ bedeutet: dass jeder im Blick ist, insbesondere die, die sonst übersehen werden. Miteinander, Füreinander, Dasein für andere – und zwar nicht aus Zwang, oder weil man das so macht, sondern weil Gott einem zur Seite steht, weil Gott es auch tut. Das „Machen“ zeichnet die Christen aus, aber es ist lediglich eine Folge von Gottes Nähe und Parteinahme und von der Freiheit, die er uns schenkt, und nicht deren Voraussetzung
Gott macht uns frei, uns für andere einzusetzen, auf andere zuzugehen, auch auf Gegner, ja Feinde – so schwer das im Einzelnen auch ist.
„Gehört das Christentum zu Deutschland“ war die Eingangsfrage. Ist Ihnen eine klare Antwort darauf wichtig ? Mir nicht. Denn das Christentum gehört überhaupt keinem ! Man kann es nicht „haben“ oder „besitzen“
Aber man kann es leben ! Jeder ist eingeladen, es zu leben, sich auf es einzulassen, auf Gott und seinen speziellen Blick. Das Christentum ist universell – wie viele andere Religionen auch.
Es ist da, wo es gelebt wird, aber es gehört keinem.
Amen