Von Claudia Boge-Grothaus

Predigt am 28. Juli 2019 über Apostelgeschichte 8,26-39

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde!
Mit diesem Trinitarischen Gruß fange ich häufig meine Predigten an. Damit will ich mir selbst noch einmal sagen: Claudia, bei allem, was Du sagen willst, denke daran, dass Du das Wort Gottes auslegst. Denke daran, dass du in einer langen Tradition stehst und denke daran, dass die Menschen, die die Predigt hören sollen/wollen, sie auch in heutiger Zeit hören.

Mit dem Trinitarischen Gruß wünsche ich mir Gott zur Seite. Ein Gott, der sich dem Volk Israel in der Wüste offenbart hat und einen Vertrag/Bund geschlossen hat und bis heute hält. Ein Gott, der uns in Jesus damals die tradierten Worte Gottes aus dem Alten Testament neu auslegte und von dem wir glauben dass er der Christus ist.

Ich wünsche mir den Gott an die Seite, der unsichtbar mit seiner Geisteskraft meine Gedanken und Worte sortiert, damit ich das tun kann, was der Kämmerer aus Äthiopien von Philippus erbittet: Erklären, auslegen, interpretieren, was Gott schon immer sagt und noch heute meint. Philippus tut es auf Befehl Gottes: Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!

Philippus hat sich nicht selbst beauftragt, schon gar nicht lag die Reiseroute des Kämmerers auf seinem eigenen Weg.

Ich halte das für eine wichtige Teilbotschaft des heutigen Predigttextes. Seit Luthers Zeiten betonen wir Evangelischen das „Priestertum aller Gläubigen“ und gleichzeitig achten wir in unserer Kirche darauf, dass nicht jeder und jede auf die Kanzel darf. Dieser Text aus der Apostelgeschichte zeigt den Weg auf, wann jemand glaubhaft das Wort Gottes auslegen kann und wann nicht.

Philippus ist wie alle Männer aus dem Volk Gottes in der Bibel bewandert. Als Bar Mizwa, als Sohn des Gesetzes fängt noch heute die Ausbildung eines jeden jüdischen Kindes (heute sind es auch die Mädchen!) ab 7 Jahren an. Dann lernen die Kinder Hebräisch, sie lernen über die verschiedenen Auslegungstraditionen der Bibel zu diskutieren.

Sie sind gehalten, die Speisegesetze ernst zu nehmen und werden aktiver Teil der Feiertagsrituale am Schabbat und zu den Hochfesten. Bis sie dann mit 13 Jahren, also ähnlich wie bei unseren Konfirmationen zum Lesen der Thora im Gottesdienst zugelassen werden.
 
Philippus kennt sich also aus. Das allein genügt Gott nicht. Erst die Beauftragung durch den Hl. Geist befähigt ihn, die Frage des Kämmerers zu beantworten. Nur lesen, nur wissen allein genügt nicht, ich muss auch eine Berufung durch Gott haben, irgendwie.

Wir in Quelle haben seit knapp zwei Jahren einen Prädikanten: Roland Schultze. Er hat schon des öfteren gepredigt und wird am 13. Oktober offiziell mit dem Predigtdienst hier in Quelle beauftragt. Ehrenamtlich versteht sich. Auch mein Mann hat 2003 diese Vokation bekommen und vorher die Landeskirchliche Ausbildung absolviert.

Immer wieder begegneten mir in der Vergangenheit Menschen mit und ohne Beauftragung, die wie Philippus die Gabe der Auslegung hatten. Und zwar so, dass die andere Person eine Antwort auf ihre Fragen bekommen konnte. Sie hatten zwar nicht immer eine Beauftragung von der Kirche, aber immer eine von Gott: Kraft des Heiligen Geistes konnten sie Rede und Antwort stehen, so dass auch ich etwas davon hatte.

Gerade war ich eine Woche lang mit Queller und Ummelner Konfis auf dem Konficamp der Kirchenkreises Gütersloh bei Berlin. Auch dort wird das Wort Gottes ausgelegt und eben nicht nur von Pfarrer*innen. Die Jugendreferenten wie Christina Weber tun‘s bei den abendlichen Andachten oder in der Unterrichtszeit. Und die Ehrenamtlichen sowieso: Und die Konfis erfahren: So wird Glaube auf dem Papier oder von den Lippen lebendig und gelebt. Und gleichzeitig erlebe ich die Konfis dann sprachfähig. „Weißt du was du da liest?“ diese Frage des Philippus beantworten die Konfis zu Beginn oft mit: „Keine Ahnung, die Bibel ist so schwierig geschrieben.“

Und wir bieten dann Gemeinschaft, Diskussionen, Spiele zur Koorperation, Wir teilen das Brot und den Kelch miteinander, wir wagen Vertrauenspiele und geben uns gegenseitig Halt und Trost wenn wir uns füreinander öffnen und aus unserem Leben erzählen. Wir lassen den Lebensweg Jesu stückweise lebendig werden: Angefangen mit dem Krach, den Jesus mit seinen Eltern als 12jähriger hatte (Pubertät ist keine Erfindung der Neuzeit) über Taufe Jesu im Frauensee (der Jordan fließt leider nicht an Berlin vorbei) über das Nachdenken über eigene Schuld und Vergebung bis hin zur Gemeinschaft am Tisch des Herrn, auf dem märkischen Sand mit Mazzen und Traubensaft und einer Kreuzkette als Geschenk.

Und die Jugendlichen kommen dabei nach und nach zu eigenständigen Antworten auf ihre Fragen und bringen erstaunlich wichtige Antworten zu Gehör!  Ein Ergebnis dieser Erfahrung sehen wir hier vorne am Altartuch: Dort haben sich alle Konfis verewigt und wir erfahren von ihnen, was Abendmahl bedeutet: Gemeinschaft, Verzeihen und Teilen. Außerdem erlebt man laut der Konfis noch dass Jesus dabei ist und dass wir neben dem Brot auch das Glück miteinander teilen. Und wir können auch im Geiste satt werden.

Eine Woche erleben die Konfis das, was Philippus dem Kämmerer auf dem Wagen in wenigen Stunden auslegt. Der Kämmerer ist ein belesener Mann, die Konfis sind das meistens nicht. Der Kämmerer möchte Verstehen um Glauben zu können, die Jugendlichen müssen oft erst ein Glaubenserlebnis haben, damit sie den Wunsch haben, zu verstehen. 

Und dann erlebe ich, wie nach und nach die Konfis selbst eine Sprache für ihre Glaubenserfahrungen entwickeln, sich trauen und auch mir manch neue Blicke auf das Wort Gottes ermöglichen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Und wie ist die Situation hier bei uns heute in der Johanneskirche?
Verstehst Du, was Du da hörst?
Das wäre meine Frage an Sie heute Morgen.
Zwei Texte haben wir durch den Lektor gehört:
Einen Jesajatext (Jesaja 43, 1-7) aus dem Alten Testament, ein paar Kapitel vor dem Text, über den der Kämmerer nachdenkt und dann den Text aus der Apostelgeschichte.
Sie und ich, wir wussten heute alle, wohin uns unsere Wege führen: In die Kirche. Die einen, um im Gottesdienst eine Predigt zu hören, ich, um einen Gottesdienst zu gestalten und den Bibeltext auszulegen.

Im übertragenen Sinn bin ich für knapp eine Stunde zu Ihnen in Ihren Reisewagen gestiegen und bemühe mich das Wort Gottes auszulegen.

Im Lesungstext aus Jesaja 43 spricht der Prophet davon, dass Gott von überall her die Söhne und Töchter Israels nach Jerusalem zurückbringen will. Der Kämmerer als Abgesandter seiner Königin fühlt sich dem Volk Gottes verbunden und hat sich eine Schriftrolle Jesajas gekauft. Ein paar Kapitel weiter liest er: (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.

33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«

Und er fragt Philippus, von wem der Prophet da spricht.

Philippus redet von Jesus, von seiner guten Botschaft und macht so klar: der Prophet Jesaja hat damals, mehr als 700 Jahre vorher von Jesus Christus geredet. Sein Kreuzestod, sein unschuldiges Leiden sind der Deutungsschlüssel, den Philippus dem Kämmerer anbietet. Er muss dazu weit ausholen und kann dabei aus eigener Erfahrung mit Jesus berichten. Schließlich war er selbst dabei.
Und mit den zahlreichen Nachkommen können nur die Christen in aller Welt gemeint sein.

Philippus ist so überzeugend in seiner Auslegung, dass der Kämmerer sich taufen lässt. Er hat verstanden: Gott macht keinen Unterschied. Zu ihm können alle kommen, seit Jesus Christus auferstanden ist. Alles was bisher galt gilt immer noch, aber wird von dem Licht der Osterfreude erleuchtet.

Liebe Gemeinde!
 „Verstehst Du auch, was Du da liest?“
Philippus, als Jünger Jesu und gläubiger Jude hat damals im Auftrag Gottes den Weg gezeigt, wie wir als Christen die Texte des Alten Testamentes zu lesen und zu verstehen haben. Das Neue Testament entstand ja erst 70 Jahre später. Der Kämmerer aus Äthiopien lässt sich daraufhin taufen. Die Taufe ist seither das Zeichen der Zugehörigkeit zum Volk Gottes für uns Christen geworden. Das Volk Gottes, dass bis heute im Judentum von Geburt an zu Gott gerufen ist und die Wurzel unseres Glaubens trägt.

Wir, die wir nicht von Geburt an zum jüdischen Volk dazu zählen, wir dürfen seit der Taufe des Kämmerers durch Philippus dazukommen, ohne dass wir sämtliche Speisegesetze und Traditionen aus den 5 Büchern Mose einhalten müssen. Es ist eine Gnade, dass wir dazugehören dürfen. Weil Gott sich über uns aus den anderen Völkern erbarmt hat.

Wieso ich das so sage? Na, weil der Kämmerer vom anderen Ende der Erde als Eunuch, als entmannter Mann nach jüdischem Recht niemals zum Volk Gottes dazugehört hätte, es aber unbedingt wollte. Philippus hat ihm in der Guten Nachricht von Jesus und mit der Taufe eine Tür zum Volk Gottes geöffnet. Und damit bis heute auch uns.

So gibt es biblisch gesehen zwei Wege, um zu Gott zu kommen: einmal durch Geburt und Glaube und ein anderes Mal durch Taufe und Glaube. Immer aber gehört die Frage nach dem Verstehen und der Wunsch nach Antwort auf beiden Wegen dazu. Denn Gott will seinen Weg in unsere Herzen nehmen.

Amen